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3R-Prinzip (Ethik)

Das 3R-Prinzip, auch bekannt als die "3R", ist ein grundlegendes ethisches Konzept, das darauf abzielt, das Wohlergehen von in wissenschaftlichen Studien verwendeten Tieren zu verbessern. Die 3R stehen für: Replacement ("Substitution"), Reduction ("Reduktion") und Refinement ("Verbesserung").

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© Anton Windfelder

HUMANE VERSUCHSVERFAHREN UND DIE 3Rs

Die "Grundsätze der humanen Versuchstechnik" sind ein ethischer Rahmen, der das Wohlergehen von Versuchstieren verbessern soll [1, 2]. Er wurde 1959 von W. M. S. Russell und L. R. Burch formuliert und wird im Folgenden als "Russell und Burch 1959" zitiert (Abbildung 1) [1, 2]. Die Grundlage der Vorschläge von Russell und Burch zur Verringerung des Leidens von Versuchstieren sind die drei Hauptprinzipien "Replacement/Substitution ", "Reduction/ Reduktion " und "Refinement/Verbesserung " in Studien mit bewussten "höheren Tieren" ("The 3Rs") [1-4].

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Abbildung 1: W. M. S Russell & L. R. Burch 

Die Grundsätze der 3R-Ethik wurden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den Behörden zunächst völlig ignoriert [3, 5]. Dies änderte sich erst allmählich in den 1980er Jahren, und inzwischen sind die Grundsätze weltweit in allen wichtigen wissenschaftlichen Förderprogrammen, Regierungsinitiativen und Gesetzen umgesetzt [3]. Der ethische Rahmen der 3R wurde seit seiner ursprünglichen Veröffentlichung im Jahr 1959 fast unverändert in die meisten Regularien übernommen [3]. Daher ist es angebracht, die ethischen Implikationen der drei R aus dem Jahr 1959 zu überprüfen und zu rekapitulieren und sie auf unsere aktuellen Arbeiten zu beziehen. Im Jahr 2009 veröffentlichte M. Balls eine überarbeitete und aktualisierte Fassung der Grundsätze: "The Three Rs and the Humanity Criterion", zitiert als "Balls, Russell and Burch, 2009" [2]. Der Autor hat mir freundlicherweise ein Exemplar seines ausgezeichneten Buches zur Verfügung gestellt, dass die Grundlage für diese Zusammenfassung bildet und dazu beiträgt, den Ersatz von kleinen Säugetieren durch Insekten als alternatives Tiermodell für die Bildgebung zu bewerten. Da beide Publikationen inzwischen vergriffen sind, werden hier direkte Zitate verwendet, um dem Leser ein authentisches Verständnis der drei Rs zu ermöglichen. 

 

Auf insgesamt 229 Seiten wird das Wort Insekt nur siebenmal erwähnt [1]. Das zeigt, dass sich die Autoren nur am Rande mit Wirbellosen beschäftigt haben. In der Einleitung sagen die Autoren: "[...] wir haben die Diskussion ganz auf die Wirbeltiere beschränkt [...]. Die höheren Wirbellosen verdienen vielleicht eine eigene Besprechung, aber sie werfen viele Probleme auf, die eine ansonsten recht allgemeine und überzeugende Darstellung ernsthaft komplizieren würden. Nur eine Gruppe, die Insekten, sind in der Praxis zahlenmäßig von Bedeutung; die Zahl der lebenden Kopffüßer, die für Experimente verwendet werden, ist gering, nimmt aber stetig zu. Viele Versuche an Insekten befassen sich mit der Entwicklung von Substanzen, die zu ihrer Tötung verwendet werden können, da viele Insekten als Schädlinge ein ernstes Problem darstellen. Solange jedoch kein vollständig humanes Gift für die Bekämpfung von Ratten entwickelt wurde, ist es eindeutig noch zu früh, sich mit den moralischen Implikationen von Insektiziden zu befassen. Der privilegierte Status der Wirbeltiere mag willkürlich erscheinen, wenn man z. B. Neunaugen mit Tintenfischen vergleicht; der Einfachheit und Klarheit halber werden wir jedoch an der traditionellen Unterteilung (der Tiere in Wirbeltiere und Wirbellose) festhalten" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 5).

 

Im Jahr 1959 war noch nicht abzusehen, dass sich Insekten als Modellsystem für viele menschliche Krankheiten etablieren und einen elementaren Bestandteil der biologischen und medizinischen Grundlagenforschung darstellen würden [6-10]. Aber wir werden sehen, dass "The Principles" immer noch sehr gut auf diese Art von Forschung angewendet werden können.

 

Das Kriterium der Menschlichkeit

Russell und Burch lehnen den Standpunkt der Cartesianer ab, die das nichtmenschliche Bewusstsein leugnen: "Wir werden keine Zeit mit jenen Philosophen verschwenden, die uns verbieten wollen, von Bewusstsein bei nichtmenschlichen Tieren zu sprechen. Im Übrigen ist es heute allgemein anerkannt, das "Bewusstsein" als Abstraktion an sich ein nutzloses Konzept ist. Alle Fortschritte auf diesem Gebiet wurden nicht dadurch erzielt, dass man sich Gedanken darüber gemacht hat, was "Bewusstsein" ist, sondern dadurch, dass man es als eine Variable behandelt und seine verschiedenen Zustände untersucht" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 10). Sie definierten den auf den Menschen bezogenen Begriff human (im Gegensatz zu unmenschlich) in einem " [...] rein objektiven Sinne, um die Art der Behandlung zu charakterisieren, die tatsächlich auf ein Tier angewandt wird" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 9). Mit unmenschlich meinen sie, dass Tieren Qualen zugefügt werden [2]. Die Abwesenheit von Leiden definiert humane Bedingungen [2]. "Wir können also ein gewisses Maß an Stress (gleich welchen Ursprungs) als einen zentralnervösen Zustand eines bestimmten Grades auf einer Skala in Richtung der autonomen Reaktion definieren, der, wenn er andauert, zu einem physiologischen Stresssyndrom führen würde. Unmenschliche Eingriffe sind solche, die die Stimmung des Tieres in Richtung dieses Punktes verschieben. Die Beseitigung der Unmenschlichkeit muss letztlich bedeuten, das Tier so weit wie möglich an das andere Ende der Skala zu bringen. Mehr Humanität bedeutet dann schlicht weniger Inhumanität" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 15). Wirbellose werden in der Einführung des "Konzepts der Unmenschlichkeit" [2] überhaupt nicht erwähnt.

 

Russell und Burch unterscheiden außerdem zwischen direkter und kontingenter Unmenschlichkeit. "Unter ersterer verstehen wir die Zufügung von Leid als unvermeidliche Folge des angewandten Verfahrens als solches [...]. Unter kontingenter Unmenschlichkeit versteht man hingegen die Zufügung von Leid als zufälliges und unbeabsichtigtes Nebenprodukt der Anwendung des Verfahrens, das für seinen Erfolg nicht notwendig ist. Kontingente Unmenschlichkeit ist in der Tat fast immer schädlich für das Versuchsobjekt, da sie psychosomatische Störungen hervorruft, die fast jede biologische Untersuchung beeinträchtigen können" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 29). 

Russell und Burch thematisieren vor allem die Tierhaltung unter dem Aspekt der kontingenten Unmenschlichkeit. Damals, 1959, war eine standardisierte Tierhaltung noch unbekannt, und Versuchstiere wurden unter schlechten und unhygienischen Bedingungen gehalten [1, 2]. Neben der ethischen Komponente weisen Russell und Burch darauf hin, dass die kontingente Unmenschlichkeit auch die Validität der Experimente beeinträchtigt. Dies ist natürlich richtig und in den heutigen Tierschutzgesetzen und -initiativen weitgehend anerkannt. 

Die 3R: Substitution (Replacement), Reduktion (Reduction) und Verbesserung (Refinement)

Russell und Burch haben die 3R in dieser Reihenfolge beschrieben und festgestellt, dass sie auch in dieser Reihenfolge angegangen werden sollten (Abbildung 2) [1, 2]. Letztendlich sollten jedoch immer alle 3R Anwendung finden. Folglich ist die Substitution von kleinen Säugetieren durch Insekten ein durchaus relevantes Thema im Sinne der 3R.

3R
© Anton Windfelder
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Abbildung 2: Die 3R: Substitution, Reduktion und Verbesserung von Russell und Burch aus dem Jahr 1959

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Substitution (Replacement)

"Wir werden den Begriff " Substitutiontechnik" für jede wissenschaftliche Methode verwenden, die nicht empfindungsfähiges Material anstatt bewusst lebenden Wirbeltieren verwendet" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 35). Russell und Burch unterscheiden drei Formen der Substitution: Vergleichende Substitution, absolute Substitution und relative Substitution.

Vergleichende Substitution

"Zu diesem nicht empfindungsfähigen Material zählen wir höhere Pflanzen, Mikroorganismen und die degenerierten metazoischen Endoparasiten, bei denen das Nerven- und Sinnessystem nahezu verkümmert ist. Eine schwierigere Frage stellt sich, wenn wir die freilebenden wirbellosen Metazoen betrachten. Wir haben sie willkürlich von der Betrachtung als Objekte der humanitären Bemühungen ausgeschlossen. Es ist zu prüfen, inwieweit sie als Ersatz für Wirbeltiere in Frage kommen. Ein solches Verfahren wird als vergleichende Substitution bezeichnet.

Russell und Burch erörtern die Verwendung von Insekten und die hochentwickelte Reaktion von Polychaeten und Seeanemonen, bevor sie zu dem Schluss kommen, dass sie die vergleichende Substitution als einen begrenzten Gewinn ansehen und dass es in der Tat keine großen Fortschritte in dieser Richtung gegeben zu haben scheint. Das Problem wird nur der Vollständigkeit halber angesprochen, und von nun an werden wir uns nur noch mit den durchaus wünschenswerten Fortschritten und Aussichten der eigentlichen Substitution befassen.

Sie weisen jedoch auch darauf hin, dass in einem anderen Zusammenhang der Tintenfisch als ein geeigneteres Objekt als die Albinoratte für Studien über den Mechanismus der visuellen Formunterscheidung anzusehen ist. [Es sei darauf hingewiesen, dass Octopus vulgaris jetzt ein "geschütztes Tier" gemäß dem Animals Act 1986 ist.]

Sie bemerken auch, "dass das Vergießen von Tränen über das Schicksal dieser Organismen das gesamte Konzept der Menschlichkeit in Verruf bringen würde, indem sie sich auf Samuel Butlers berühmte reductio ad absurdum (Widerlegung eines Satzes durch den Nachweis, dass er zu absurden oder unhaltbaren Schlussfolgerungen führt) beziehen, indem sie sich auf den Philosophen aus Erewhon Bezug nehmen, der sich erkundigte, ob Salz fühlen kann. Erewohn ist der Titel eines 1872 erschienenen Buches von Butler und eine Satire auf die viktorianische Gesellschaft. Erewohn ist ein fiktives Land, dessen Name auf Nowhere (Nirgendwo) zurückgeht [...]. In dem Buch besucht der Erzähler [...]das College of Unreason und trifft dort unter anderem den Professor von Worldly Windom, der auch Präsident der Gesellschaft zur Unterdrückung von nutzlosem Wissen ist. Hier wird behauptete, "dass Gemüse nur Tiere unter einem anderen Namen sind. Die Schlussfolgerung, die gezogen wird ... ist, dass, wenn es sündhaft ist, Tiere zu töten und zu essen, es nicht weniger sündhaft sei, das Gleiche mit Gemüse oder dessen Samen zu tun" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 35-26).

 

Daher ist die Verwendung von Insekten in diesem Projekt eine vergleichende Substitution (Abbildung 2). Russell und Burch betrachten diese Substitution als "einen begrenzten Gewinn" [2], erwähnen aber, dass die Berücksichtigung von Insekten das Konzept der Menschlichkeit ad absurdum führen würde. Im Nachtrag zu den Grundsätzen stellen Russell und Burch fest: "Die vergleichende Substitution niedrigerer durch höhere Tiere wirft schwierige Fragen auf. Aber wo es um große etische Herausforderungen geht -wie bei der Untersuchung und Prüfung natürlicher Gifte- müssen wir froh sein, wenn wir Säugetiere durch niedere Tiere ersetzen. Eine vergleichende Substitution ist umso begrüßenswerter, je weniger sie zu einer schwereren Schädigung des Ersatztieres führt. Witt (1952)[11] hat die Auswirkungen einer Reihe von neurotropen Medikamenten (einschließlich Lysergsäure) auf Netzspinnen untersucht. Die medikamentenspezifische Wirkung wird objektiv und quantitativ in Form und Muster des gesponnenen Netzes erfasst. Diese Technik könnte eine weitere Untersuchung im Kontext der experimentellen Psychiatrie wert sein" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 114)[2]. 

In der Originalveröffentlichung aus dem Jahr 1959 erwähnen Russell und Burch ausdrücklich Experimente mit Drosophila melanogaster in Giftversuchen als adäquaten Ersatz für Mäuse [7]. Daher kann eindeutig festgestellt werden, dass die Verwendung von Insekten in unserer Arbeit eindeutig mit dem 3R-Prinzip übereinstimmt

Absolute und relative Substitution

"Bei der relativen Substitution werden die Tiere immer noch benötigt, obwohl sie im eigentlichen Versuch wahrscheinlich oder sicher keinerlei Belastungen ausgesetzt sind. Beim absoluten Ersatz werden die Tiere in keiner Phase mehr benötigt" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 36). Russell und Burch verstehen zum Beispiel die Durchführung von Erholungsexperimenten (z. B. das Testen eines Medikaments mit nur vorübergehender Wirkung) unter starker Aesthetisierung als einen relativen Ersatz und "völlig frei von Unmenschlichkeit" [2]. Absolute Substitution " beinhaltet Arbeiten an isolierten Zellen, Geweben oder Organen von Wirbeltieren" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 38). Russell und Burch sehen den absoluten Ersatz eindeutig als "das absolute Ideal " [2]. Sie räumen jedoch ein, dass "der Fortschritt der Substitution nur schrittweise erfolgt, und es ist auch nicht wahrscheinlich, dass er jemals die gesamte experimentelle Biologie erfassen wird " (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 63). 

In Bezug auf den Ersatz von Versuchstieren führen Russell und Burch zwei wichtige Merkmale an, durch die sich das Modell vom ersetzten oder substituierten Original unterscheiden kann: Fidelity und Discrimination [2]. "Fidelity bedeutet einen allgemeinen proportionalen Unterschied, und Discrimination das Ausmaß, in dem das Modell eine bestimmte Eigenschaft des Originals reproduziert " (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 43). Laut Russell und Burch kann die erste Variante zum sogenannten "High-fidelity fallacy" [2] führen. Die "High-fidelity fallacy" könnte nahelegen, dass für den Menschen ein Mitglied einer anderen plazentalen Säugetierart ein Modell mit höherer Fidelity wäre als ein Vogel oder eine Mikrobe [oder ein Insekt]. Eine allgemeine Grundannahme besagt, dass in der medizinischen Forschung und bei der Prüfung biologischer Substanzen stets die größtmögliche Fidelity angestrebt wird. Die unausweichliche Schlussfolgerung ist, dass Säugetiere hier zwangsläufig immer das beste Modell sind " (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 45). Ein hervorragendes Beispiel für den Trugschluss der High-fidelity ist die Verwendung von Mäusen in der epigenetischen Forschung zur Spermatogenese. Die Epigenetik der Spermatogenese ist bei Säugetieren sehr heterogen, und es gibt keinen guten Grund, diesen Prozess an Mäusen zu untersuchen [12].

 

Im Lichte der von Russell und Burch beschriebenen fidelity und discrimination ist das Modell M. sexta eindeutig von geringer fidelity, aber von hoher discrimination in Bezug auf die Entwicklung und Erkennung von gastrointestinalen Entzündungen. Dies ist richtig, weil die Darmstruktur von M. sexta und die angeborenen Entzündungsreaktionen denen von Säugetieren sehr ähnlich sind und daher mit CT, MR und PET nachgewiesen werden können. Aber natürlich gibt es auch viele Unterschiede zwischen Tabakschwärmer und Säugetieren (z. B. die Metamorphose, die allgemeine Morphologie und die Regulierung der Körpertemperatur). Aber in diesen Unterschieden liegt die Stärke dieses Modells. Um es mit den Worten von Russell und Burch zu sagen: "Unterschiede sind manchmal nützlicher als Ähnlichkeiten" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 44)[2]. In diesem Zusammenhang erwähnen Russell und Burch die Begriffe "Scouting" und "Prescreening", was genau den Anwendungsbereich unserer Arbeiten darstellt [2].

 

Reduktion

"Reduktion ist bei jedem Verfahren wünschenswert, das eine große Anzahl von Tieren in einem Labor verwendet, egal wie human es ist. [...] Die Reduktion ist von großer Bedeutung und diejenige Maßnahme, die im Hinblick auf die Effizienz am offensichtlichsten, unmittelbarsten und allgemeinsten von Vorteil ist " (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 63).

Zunächst einmal müssen diese Aussagen im zeitlichen Kontext gesehen werden. Wie eingangs erwähnt, gab es 1959 in den Labors keine standardisierte Tierhaltung und keine standardisierten Versuche. Da viele der Ergebnisse nicht vergleichbar waren, mussten viele Versuche mehrmals wiederholt werden, was zu sinnlosem Leiden und zur Verschwendung von Ressourcen führte. Deshalb fordern Russell und Burch eine Standardisierung, die heute glücklicherweise in den meisten Laboratorien längst etabliert ist.

Russell und Burch erörtern ausführlich das statistische Problem der Varianz, für das es damals noch keine zufriedenstellende Antwort gab. Dennoch sollte erwähnt werden, dass auch die Power-Analysen, die heute meist als Lösung vorgeschlagen werden, dieses Problem nicht lösen. In den meisten Fällen ist die Effektgröße nicht bekannt oder wird willkürlich festgelegt, und es ist auch heute noch nicht möglich, die genaue Anzahl oder die Mindestanzahl der benötigten Versuchstiere im Voraus zu bestimmen. Aber im Gegensatz zu damals gibt es heute klare statistische Konventionen für Hypothesen-Signifikanztests.

Sie kritisieren auch den ungerichteten Ansatz einiger Forschungsverfahren. "Wann immer ein direkter Vergleich zwischen gezielter und ungezielter Forschung möglich ist, erweist sich erstere als effizienter. Wo solche Methoden angewandt werden, ist es aus Gründen der Menschlichkeit, der Kosten und des Aufwands wünschenswert, dass Versuch und Irrtum als Methoden  angewendet werden" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 65). Diese Aussage ist nach wie vor zutreffend, und ein ungezieltes Hochdurchsatz-Screening sollte mit unserem Manduca-basierten Screening-System vermieden werden. Unsere Arbeiten sind eindeutig hypothesengesteuert. 

Es sollte erwähnt werden, dass die Konzeption eines Hochdurchsatz-Screeningsystems im offensichtlichen Widerspruch zu der Prämisse der Reduktion steht. Obwohl ich dem ethischen Rahmen von Russell und Burch voll und ganz zustimme, kann ich der Prämisse der Reduktion nicht uneingeschränkt zustimmen.

Erstens bedeutet mehr Forschung immer auch ein mehr an Versuchstieren, und es war nicht die Absicht von Russell und Burch, den epistemologischen Kern der Wissenschaft zu beschränken. Zweitens, und auch dies ist in Einklang mit Russell und Burch, brauchen wissenschaftliche Experimente, bei denen Versuchstiere geopfert werden, bestimmte Qualitätsstandards in Bezug auf die Reproduzierbarkeit. Russell und Burch waren der Meinung, dass die Standardisierung von Versuchen und Tierhaltung das "Problem der Varianz " lösen könnte [2]. Sechzig Jahre nach der Veröffentlichung von "The Principles" befindet sich die wissenschaftliche Gemeinschaft in einer methodisch bedingten "Krise der Reproduzierbarkeit" [13]. Daher steht die Konzeption eines auf Wirbellosen basierenden Hochdurchsatz-Screeningsystems zwar im Widerspruch zur Forderung nach der Reduzierung von Versuchstieren, aber nicht im Widerspruch zur Intention der 3R. Wenige Experimente mit zweifelhaften Ergebnissen aufgrund einer geringen Anzahl von Versuchstieren reduzieren letztlich vordergründig das Leiden der Versuchstiere. Allerdings sind dann auch diese wenigen Tiere vergeblich und sinnlos gestorben, was sicherlich nicht im Einklang mit den 3R steht. Außerdem ist anzumerken, dass In-vivo-Bildgebungsverfahren wie CT, MR oder PET den Einsatz von Versuchstieren erheblich reduzieren, da Säugetiere oder Insekten diese Verfahren recht gut vertragen und im Grundsätzlich noch für andere Experimente verwendet werden können, was bei den meisten anderen experimentellen Techniken (wie z.B. qPCR) nicht der Fall ist.

 

Verbesserung

"Ihr Ziel ist es, die Belastung der verwendeten Tiere auf ein absolutes Minimum zu reduzieren " (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 85).

Russell und Burch unterscheiden zwischen neutralen und belastenden Untersuchungen. "Bei neutralen Untersuchungen ist es wahrscheinlich, dass jedes noch so geringe Maß an Stress die Effizienz der Untersuchung von vornherein beeinträchtigt " (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 86). Bei den meisten belastenden Untersuchungen ist die Wahrnehmung von Schmerz oder physiologischem Stress selbst Gegenstand der Untersuchung."Bei belastenden Untersuchungen scheint es auf den ersten Blick einen unüberbrückbaren Konflikt zwischen den Ansprüchen von Humanität und Effizienz zu geben" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 86). 

"Das allgemein wichtigste Verbesserungsverfahren ist die Anästhesie. Sie hat vielleicht den größten einzelnen Fortschritt in der humanen Technik gebracht und war gleichzeitig praktisch unverzichtbar für den Fortschritt der experimentellen Biologie" (Balls, Russell und Burch, 2009, S. 87). Glücklicherweise können Insekten sehr gut mit etablierten Anästhetika wie Isofluran oder Eis behandelt werden.

Schlussfolgerung

Unsere Arbeiten zielen darauf ab, Säugetiere durch die Insektenlarven des Tabakschwärmers (als vergleichende Substitution) in Hochdurchsatz-Bildgebungsmodalitäten zu ersetzen. In diesem experimentellen Umfeld ist es nicht möglich, auf nicht empfindungsfähige Modelle für die Hypothesentestung zurückzugreifen. Daher ist es wünschenswert, die weit verbreiteten Mausmodelle so weit wie möglich durch Modelle zu ersetzen, die vermutlich weniger empfindlich sind und keine Sozialstruktur aufweisen. Diese vergleichende Substitution entspricht vollständig den 3R-Prinzipien von Russell und Burch (Abbildung 2) [1, 2].

Referenzen 

1.         Russell WMS, Burch RL. The principles of humane experimental technique: Methuen; 1959.

2.         Balls M, Russell WMS, Burch RL. three Rs and the humanity criterion: FRAME; 2009.

3.         Hubrecht RC, Carter E. The 3Rs and humane experimental technique: implementing change. Animals. 2019;9(10):754.

4.         Rollin BE. The regulation of animal research and the emergence of animal ethics: a conceptual history. Theor Med Bioeth. 2006;27(4):285-304.

5.         Badyal DK, Desai C. Animal use in pharmacology education and research: The changing scenario. Indian J Pharmacol. 2014;46(3):257.

6.         Maslova E, Shi Y, Sjöberg F, Azevedo HS, Wareham DW, McCarthy RR. An Invertebrate Burn Wound Model That Recapitulates the Hallmarks of Burn Trauma and Infection                 Seen in Mammalian Models. Front Microbiol. 2020;11:998-. doi: 10.3389/fmicb.2020.00998. PubMed PMID: 32582051.

7.         Jennings BH. Drosophila – a versatile model in biology & medicine. Materials Today. 2011;14(5):190-5. doi: https://doi.org/10.1016/S1369-7021(11)70113-4.

8.         Mirzoyan Z, Sollazzo M, Allocca M, Valenza AM, Grifoni D, Bellosta P. Drosophila melanogaster: A Model Organism to Study Cancer. Frontiers in Genetics. 2019;10(51).               doi: 10.3389/fgene.2019.00051.

9.         Yamaguchi M. Drosophila models for human diseases: Springer; 2018.

10.       Durieux M-F, Melloul É, Jemel S, Roisin L, Dardé M-L, Guillot J, et al. Galleria mellonella as a screening tool to study virulence factors of Aspergillus fumigatus. Virulence.                       2021;12(1):818-34. doi: 10.1080/21505594.2021.1893945.

11.       Witt PN. Ein einfaches Prinzip zur Deutung einiger Proportionen im Spinnennetz. Behaviour. 1952:172-89.

12.       Morgan HD, Santos F, Green K, Dean W, Reik W. Epigenetic reprogramming in mammals. Hum Mol Genet. 2005;14(suppl_1):R47-R58. doi: 10.1093/hmg/ddi114.

13.       Baker M. Reproducibility crisis. Nature. 2016;533(26):353-66.

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